* 20. Mai 1937 in Königsberg, Pr.


+ 12. November 2024 in Nübbel
Frank Riebensahm starb am 12. November plötzlich und unerwartet. Wer ihn kannte, der weiß, wie akribisch Frank sein Leben strukturiert und geordnet hat. Und dies hat sich auch auf seinen Tod ausgewirkt: indem er sehr detaillierte Vorstellungen und Anweisungen gegeben hat.
Hierzu gehört unter anderem eine anonyme Feuerbestattung.
Da wir als engste Verwandte seine letzten Wünsche gerne erfüllen möchten, stehen wir alle vor der Schwierigkeit, angemessen von Frank Abschied nehmen zu können.
Eine Trauerfeier im Norden wollte Irmgard nicht abhalten, da sie sich hierzu im Moment gesundheitlich und mental nicht in der Lage sieht.
Frank hat uns seinen “Lebenslauf” zusammen mit einem Liedwunsch hinterlassen, den wir an dieser Stelle gerne zu seinem Andenken teilen.
Er hat sich eine instrumentale Version von “It’s Time to Say Goodbye” gewünscht.
Hier ist eine Audio-Version des Textes von Frank in meiner Interpretation.
Frank hätte Euch die Geschichte wahrscheinlich etwas anders erzählt. Hört Ihr seine Stimme aus den Worten?
Die Lebensdaten von Frank sind hier auch zum Download und Ausdruck verfügbar.
“So bin ich trotz einiger Widrigkeiten sehr zufrieden”
Lebensdaten Frank Riebensahm
Geboren am 20.05.1937 in Königsberg,Pr. in Ostpreußen
Vater: Herrmann Riebensahm, Versicherungsinspektor
Mutter: Charlotte Riebensahm, geb. Passarge, Lehrerin
Kindheit unbeschwert, viele Geburtstagsfeiern und Familienfeste, Sommerurlaube auf Gut Schaaken und an der Ostsee in Kranz, Rauschen und Nidden mit der Hohen Düne im Hotel Königin Luise.
Kutschfahren auf der Nehrung zur Elchbeobachtung.1943 Einschulung in die Scheffnerschule in Königsberg, Ortsteil Rathshof Gartenstadt. Übrigens: das war eine – wie man heute sagen würde – polytechnische Volksschule. In den Kellern war durch die Wagonfabrik eine Werkstatt eingerichtet worden. 60 Schüler waren wir. Die Lehrerin war 60 Jahre alt. Eiserne Disziplin, es regierte der Rohrstock. In der Pause gingen wir auf dem Schulhof im Uhrzeigersinn im Kreis; in der Mitte der Lehrer in gegenläufiger Richtung, sein Pausenbrot essend. Wir Kinder hatte alle schon Kennmarken, wie sie die Soldaten trugen. Meine war aus Pappe; begehrt waren solche aus Metall. Das blieb mir trotz eindringlicher Bitte verwehrt.
Auf dem Weg zur Schule arbeiteten vermutlich russische Kriegsgefangene an den Straßenbahnschienen – meine Mutter hatte eigens für sie Butterbrot geschmiert, das ich übergab. Ich tat, was man mir sagte. Vom Kriegsgeschehen blieb Ostpreußen bitte Mitte 1944 völlig verschont; hin und wieder schoss die Flak und wir sammelten die Splitter – ein sehr beliebtes Tauschobjekt. Bei Luftschutzübungen liefen wir Kinder mit Gasmasken in unserer Straße umher; das war aufregend und ein Mordsspaß.
Erste Erfahrungen mit dem Krieg waren die zwei Terrorangriffe Ende August 1944 durch etwa 600 britische Bomber, die die Altstadt völlig zerstörten und über Monate dauernde Brände verursachten. Ich habe jedenfalls von der ersten bis zur letzten Bombe geschrien wie am Spieß. Auch der Hinweis, dass durch ein Heulen die Gefahr, getroffen zu werden vorbei war, konnte mich nicht beruhigen.
Wenige Wochen später wurden Mütter mit ihren Kindern zwangsevakuiert. Auf dem Hauptbahnhof herrschte Chaos. Ich sah, wie sich Menschen gegenseitig aus dem Zug stießen. Ich selbst wurde durch das Fenster gereicht und landete auf dem Schoß eines verwundeten Soldaten bis Berlin. Dort angekommen wieder Fliegeralarm, runter in die U-Bahn und zunächst allein. Doch ich fand meine Mutter mit Schwester wieder. Gemeinsam setzten wir unsere Reise nach Genthin zu unseren Verwandten fort, erlebten den Einmarsch der Russen. Durch die Einquartierung von russischen Offizieren verliefen die fast täglichen nächtlichen Razzien glimpflich.
Die Jahre 1945 bis 1947 waren die entbehrungsreichsten in meinem bisherigen Leben. Wir froren und hungerten, obwohl bei unseren Verwandten nach meinen Beobachtungen das Leben seinen gewohnten Gang weiterging. Ich erkrankte an Angina mit hohem Fieber. Der Arzt Dr. Teutschebein konnte mir nicht helfen, da es kein Penicillin gab. „Der Jung muss sich selbst helfen“ sagte er und ich tat es.
Wie sah es aus in den letzten Kriegstagen und danach? Die Durchgangsstraße war übersät mir Kriegsmaterial – von der Pistole bis zur Panzerfaust. Ein gefährliches Spielzeug. Ein Wunder, dass verhältnismäßig so wenig passiert ist. Wir Kinder spielten Krieg. Bewaffnet mit langen Stangen und Katapulten ging eine Straße gegen die andere los.
Flüchtlinge waren nicht gern gesehen. Als Rucksackdeutsche in der Minderheit bekamen wir das zu spüren. Unsere anderen Verhaltensweisen und Kleidung führten nicht nur zu Beschimpfungen, sondern auch zu Prügel bis zur Klassenkloppe. Begünstigt wurde alles durch das Fehlen von Lehrern. Ich hatte in einem Schuljahr 19 Klassenlehrer. Bei mir stellte sich eine gewisse Verwahrlosung ein. Ich schwänzte die Schule, immer auf der Suche, den permanenten Hunger zu stillen. Im Ergebnis war meine Versetzung gefährdet. Die fehlende väterliche Autorität und die ganztägige Beschäftigung meiner Mutter tat ihr Übriges. Der Schwarzmarkt blühte, und auch ich – mit 300 Reichsmark bewaffnet – ergatterte ein drei Pfund-Brot. Plötzlich eine Schießerei, verursacht durch betrunkene Russen. Auf dem Marktplatz liefen die Menschen davon und ich flüchtete unter einen Ackerwagen und wartete ab.
Normalerweise hatten Kinder von den Russen nichts zu befürchten. Das war eine von vielen ähnlichen Erlebnissen aus dieser Zeit. In Erinnerung blieb mir auch der mit Zucker beladene untergegangene Frachter im Mittellandkanal. Menschenmassen versammelten sich am Ufer – mit Eimern bewaffnet, um den Zuckersirup zu ergattern. Die russischen Bewacher, stark alkoholisiert, schossen in unregelmäßigen Abständen Gewehrsalven in die Luft und lachten, wenn die Menschen zurückströmten, um sich sogleich wieder anzunähern.
Da von meinem Vater jegliches Lebenszeichen ausblieb, nahm uns mein Onkel Hans zu sich. Als Studienrat erhielt er eine Anstellung am Gymnasium in Osterburg/Altmark. Schlagartig veränderte sich mein Leben. Diese Normalität sorgte auch für gute schulische Leistungen, die mir den Weg zum Abitur ermöglichten.
Mein Wunsch war ein Studium der Forstwissenschaft. Voraussetzung: ein Abschluss mit Note eins. Dazu reichte es nicht. Ich begann also mein vom Staat empfohlenes (oder besser gesagt bestimmtes) Studium an der Verkehrshochschule Dresden – Fachrichtung Eisenbahnwesen.
Zuvor war ich in Köln. Das ging damals noch – auf Einladung der Kölnischen Hagelversicherung, dem ehemaligen Arbeitgeber meines Vaters.
Bei den Immatrikulationsfeierlichkeiten nahm ich meinen Platz in der ersten Reihe ein. Ich kam mal wieder auf die letzte Minute. Meine im Westen erstandene Manchesterhose veranlasste den referierenden Dekan zu folgender Bemerkung – ungefähr: „Es gibt auch an unserer Hochschule Elemente, die durch den Erwerb der Manchesterhose ihr Staatsbewusstsein an Westberlin verkauft haben.“ Damit hatte ich meinen Stempel weg.
Die Praktika in Stendal und Magdeburg waren sehr interessant. Ich tat Dienst im Bahnbetriebswerk, im Hilfszug. Da gab es bei Einsätzen echten Bohnenkaffee und polnisches Dosenfleisch sowie Mitfahrten auf den Dampfloks der Baureihe 38 und 50. Ich durfte mich als Heizer und Lokführer versuchen – natürlich unter strenger Aufsicht -, auf dem Stellwerk, bei der Bahnmeisterei, in der Rotte und schließlich im Betriebswagenwerk in Magdeburg-Salbke.
Während der Ungarnkrise wurde mir das Hören eines Westsenders und die Weigerung einer Geldspende – ich war für einen Sanitätskasten – wahrscheinlich zum Verhängnis. Man sollte sich von mir fernhalten, wurde mir aus meiner unmittelbaren Umgebung mitgeteilt. Es folgte eine weitere Warnung aus bekannt kritischen Kreisen um einen gewissen Hauptmann. Danach erfasste mich panische Angst. Ich packte meine Aktentasche mit etwas Wäsche und machte mich auf den Weg nach Westberlin. Schließlich, im Rahmen des Notaufnahmeverfahrens nach den Stationen Marienfelde, Sandbostel und Stuckenbrock, landete ich in Köln-Brück mit ein paar Habseligkeiten und ohne Zeugnisse.
Die Wiederbeschaffung der Zeugnisse war schwierig und kostete viel Zeit, die ich in verschiedenen Jobs überbrücken musste – so als Hilfskraft in einer Bäckerei, Lagerarbeiter bei der Margarineunion, Autowäscher bei Auto-Zentra, Bauhilfsarbeiter, Fensterputzer bei der Firma Maddaus in Köln Mehrheim und endlich als Auslieferungsfahrer bei der Firma Simon Jung, einem kleinen Kaufhaus in Köln-Mühlheim, bei der ich erstmalig nicht als Vertretungskraft beschäftigt wurde.
Nach bestandener Eignungsfeststellung begann ich meinen beruflichen Weg bei der Deutschen Bundespost im Jahr 1960. Nach Aufenthalten bei den Postämtern in Erkrath, Düsseldorf-Gerresheim, Düsseldorf, Düsseldorf-Oberkassel, Mönchengladbach, Wuppertal-Barmen, Wuppertal-Oberbarmen, Wuppertal-Langerfeld, Wuppertal-Elberfeld – um nur die Wichtigsten zu nennen – legte ich im Jahr 1963 die Verwaltungsprüfung ab und begann beim Postamt Emmerich.
Meine erste Ehe scheiterte schon nach drei Jahren. Zurück blieb ein Adoptivsohn Ralf, mit dem ich bis heute keinen Kontakt habe.
Drei Jahre nach meiner Scheidung lernte ich meine jetzige Ehefrau Irmgard kennen, mit der ich die weitere Zukunft gemeinsam gestaltete.
Bei einem Urlaubsaufenthalt an der Flensburger Außenförde beschlossen wir unseren Wohnsitz nach Schleswig-Holstein zu verlegen. Ich wollte auch räumlich die schmerzhafte Vergangenheit hinter mir lassen. Schließlich gelang es mir, die Versetzung nach Rendsburg zu erwirken. Bei meiner Vorstellung bei der Oberpostdirektion Kiel erhielt ich Zusage für einen Dienstposten beim Postamt Rendsburg.
Das war der Glückfall. Von nun an ging es in allen Lebensbereichen bis zum heutigen Tage immer bergauf. Eheschließung und der berufliche Aufstieg sorgten für dankbare Zufriedenheit.
Wir fanden Unterkunft in Nübbel in dem Altenteilhaus der Familie Bock und waren dort fünf Jahre glücklich und zufrieden. Die herzliche Aufnahme durch unsere bäuerlichen Nachbarn -den Familien Bock, Dau, Rohwer und Schuhmacher – haben uns den Neustart in Schleswig-Holstein sehr erleichtert. Sie waren es auch, die uns in die Dorfgemeinschaft eingeführt haben. Für uns begannen die schönsten Jahre in unserem Leben. Wir sind den Nübbler Bürgern unendlich dankbar.
Unsere neue Nachbarschaft ist gekennzeichnet durch uneingeschränkte Unterstützung und Hilfsbereitschaft. Ein beruhigendes Gefühl für uns Ältere.
Am Ende eines erlebnisreichen und erfüllten Lebens sind rückblickend die wichtigsten existenziellen Entscheidungen richtig getroffen worden.
So bin ich trotz einiger Widrigkeiten sehr zufrieden.
